Geschrieben von: Mark
Da es in zwei Wochen losgeht haben wir den Ernstfall getestet: Wir brauchten eine Strecke, die die zukünftigen Tagesziele von 100 km abbildet und wir brauchten den Test für die Kontinuität, d. h. 100 Kilometer auch am Folgetag. Zusätzlich wollten wir checken, ob unsere Ausrüstung für das Camping ausreichend ist, also haben haben wir auch eine Übernachtung eingeplant. Und zu guter Letzt: Wir brauchten ein paar Höhenmeter. Nun wohin also?
So lange brauchten wir nicht überlegen, unser Arbeitskollege Oli wohnt in Badersleben im Harz und Josch hatte ihn schon bei seiner Motorradtour im letzten Jahr besucht. Nach kurzer Nachfrage kam sofort das GO: „Klar könnt ihr vorbeikommen! Ihr wollt bei uns im Garten pennen? Ja, Platz ist hier genug und wir sind genau dann wieder aus dem Urlaub zurück“.
Am Vorabend des 31.07.2021 ging dann bei mir das Packen los: Zelt und Schlafsack waren schnell gefunden, da meine Kids und ich im letzten Jahr in meiner alten Heimat schon einen Camping-Versuch in „Opa und Omas Garten“ unternommen haben. Die ISO-Matte fand sich verstaubt auf dem Dachboden. Dieses Zeug kam alles in die Kiste des Lastenrades. Die Kiste hatte noch locker Luft für mehr. Den Gaskocher und das Campinggeschirr habe ich nach kurzer Überlegung weggelassen, damit uns Oli nicht für vollkommen bescheuert hält, wenn wir bei ihm eintrudeln.
Obwohl mir bewusst war, dass es nur eine Zwei-Tages-Tour ist, wollte ich mit vollen Packtaschen fahren, da die Kiste des Lastenrades für die Camping-Utensilien und die Verpflegung reserviert sein sollte. Ihr müsst wissen, dass ich eine Packtasche immer fertiggepackt, für unsere monatlichen Wandertouren bereitstehen habe. Also konnte ich diese Tasche schon fast genauso bepackt lassen. In die Zweite kamen dann prompt die Kulturtasche, weitere Kleidung, (Regen-) Jacke, nochmal eine zweite Montur Fahrrad-Klamotten und Notfallwerkzeug.
Jetzt zur Verpflegung: Nichts geht ohne Wasser. Zwei Fahrradflaschen + die Wander-ISO-Flasche sollten für eine Strecke reichen. 2 Flaschen kamen in meine Thermotasche und Eine direkt in den Fahrrad-Halter am Lasti. Für den Kohlenhydrat-Haushalt kamen zusätzlich noch Müsli-Riegel und für die Magnesium-Versorgung meine restlichen Bananen dazu. Etwas geschnippeltes Obst & Gemüse und 2 „Pausen-Pumpernickel“ in eine der Ausflugsbrotdosen meiner Kids und die Verpflegung sollte geritzt sein. Danach gings an den Lade-Check: Lasti-Akku am Netz? Powerbank auch? Camping-Leuchte voll? Smartphone am Ladegerät? Backup-Smartphone auch? Mein Gott ohne Strom läuft hier gar nichts mehr…
Samstag, 31.07., morgens um 08:30 Uhr: Mit zwei Klicks rasten die Radtaschen in meinen Gepäckträger und die Thermotasche verschwindet in der Kiste meines Lastenrades. Das Wetter sieht trocken aus, aber es windet ganz gut. Akku ins Lasti und Smartphone in die Halterung. Ja und dann noch der ganze restliche Elektrokrams inkl. dessen Ladegeräte (WICHTIG: Fahrradladegerät!) in die Packtasche. Josch und ich hatten vorher ausgemacht, dass wir uns gegen 10:00 Uhr am Mittellandkanal treffen, damit wir beide eine ähnlich weite Anfahrt haben bevor es zusammen Richtung Harz geht. Bei mir waren es gut 19 km. Die letzten Handgriffe vor dem Losfahren waren dann: Helm auf, Navigation an, Fitnesstracker an, Bluetooth-Knopf ins Ohr und die Playlist meiner Lieblingssongs starten. Ich kann mich immer noch nicht an diese Fahrradhose mit dem Gelkissen gewöhnen: Windelalarm… hat sich F. (mein 3,5-jähriger Sohn) vor einem Jahr auch so gefühlt, als er noch mit Notfallwindel das erste Mal alleine mit dem Rad losgefahren ist? Ein kurzes Grinsen meinerseits, es ist kurz vor 9 und ich fahre vom Hof.
Einmal durch Hannover bitte. Die Ampeln sind mal wieder auf rote Welle aus. Da ich insgesamt 120 km mit dem Akku auskommen muss fange ich gleich mal mit dem Haushalten an. Nur beim Anfahren auf Eco schalten und ab 20 km/h gleich wieder ausmachen. Ist das Lasti erst einmal über 20 km/h kann man in der Ebene recht einfach ohne Unterstützung des E-Motors eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 20 km/h halten. Aber dann kam der Anstieg am Tiergarten. Obwohl es keine starke Steigung ist: Jetzt merke ich die Kilos des Gepäcks, also E-Motor auf Eco bis es wieder eben wird. Ab Anderten wird es angenehmer zu fahren, da es nicht mehr an den großen Hauptverkehrsstraßen, sondern eher durchs Grüne geht. Ab der Schleuse geht es dann immer direkt am Mittellandkanal entlang. Nun sind es nicht die Steigungen, sondern der Wind der schräg von vorne an meiner Kiste und an den Packtaschen zerrt. Na gut, dann nochmal den E-Motor dafür an. Da wo es wieder windstiller wurde, war dann der Weg am Kanal gar nicht mehr ausgebaut. Ein Schlagloch folgt dem Nächsten und ein Spurwechsel geht nicht, da der „Grünstreifen“ zwischen den beiden Furchen nicht sehr vertrauenserregend aussieht. Warum muss in den den Furchen brüchiger, spitzkantiger Beton aus dem Schotter schauen? Nach 10 Minuten Geschüttel und Angst um einen Platten, bevor es eigentlich so wirklich los geht, komme ich um 09:43 Uhr an unserem Treffpunkt an. Ich teile Josch meinen Live-Standort, steige vom Sattel und beobachte erst einmal die vorbeifahrenden Schiffe auf dem Kanal, bis ich bemerke das der Knopf in meinem Ohr „Don’t Stop Me Now“ von Queen in rechte Seite schallt – Welch Ironie.
Kurz vor halb 11 ist Josch am Treffpunkt eingetrudelt. Nach einer Snackpause und etwas Geläster über die Rentner die viel zu warm angezogen auf ihren E-Bikes im Schneckentempo vor einem hergefahren sind, geht es um 10:43 Uhr los. Vorher jedoch fülle ich meine Wasserflasche wieder auf Anschlag voll und lasse den Bluetooth-Knopf in der Packtasche verschwinden – Jetzt habe ich ja Gesellschaft.
Es geht nun gut eine halbe Std. immer am Mittellandkanal entlang. Eine erneute Furchen-Odyssee bleibt uns erspart und wir können mit guten Durchschnittstempo von 20 km/h auf akzeptablen Untergrund Kilometer machen. Wir unterhalten uns etwas über die kommende Strecke bis der stärker werdende Wind uns gegenseitig nicht mehr wirklich zuhören lässt. An der Hildesheimer Stichkanaleinfahrt trennen wir uns vom Mittellandkanal und fahren dort über die Schleuse. Noch einen kurzen Blick auf den Kaliberg von Sehnde, bevor er uns den Rücken kehrt und wir nur noch über Feldwege fahren. Zwischen den Wegen passieren wir kurze Ortsdurchfahrten von Ummeln, Groß Lobke und Harber. In Hohenhameln hingegen erleben wir mehr Zivilisation – vielleicht kommt mir das aber nach knappen 1,5 Std. im Sattel auch nur so vor. Nach dem Ortsausgangsschild geht uns der Wind, der uns permanent mittlerweile fast direkt von vorn entgegenkommt, ordentlich auf die Nerven. Die Lust am Radeln haben wir dadurch trotzdem nicht verloren und der nächste Ort Bierbergen bringt uns zum Schmunzeln, da wir jetzt keine Zeit für Gerstenkaltgetränk haben.
Beim Blick auf die Uhr am Ortsausgangsschild des nächsten Ortes beschließen Josch und ich uns das nächste Plätzchen mit einer Bank zu suchen, um dort Mittagspause zu machen. Entgegen unseres Wander-„Running“-Gags unserer Höllentour um das Steinhuder Meer, bei der wir vergeblich auf die nächste Bank gehofft hatten finden wir nur mit nur fünf Minuten Verspätung um 12:05 Uhr an einer alten Burggrenze einen Wanderrastplatz mit Bank und Tisch.
Absitzen, Aufständern und Pause machen. Wir liegen gut in der Zeit, da wir so gut wie die Hälfte an Kilometern geschafft haben. Wir schießen ein paar Bilder unserer Drahtrösser und essen etwas. Ein kurzer Check der Fahrräder und meine Akku-Anzeige sagt noch 96 Rest-km im Eco-Modus – Da bin ich entspannt. Gegen 12:25 Uhr geht es dann wieder rauf aufs Rad und wir bemerken, dass wir nicht nicht viel länger Pause machen dürfen, da wir schon wieder etwas in den Tritt kommen mussten.
Nach dem wir wieder drin waren ruft Oli an und erkundigt sich wie weit wir sind. Ich hatte ehrlich gesagt keine Ahnung und Josch meinte kurz vor Salzgitter. Nachdem Josch unseren Live-Standort geteilt hat, sprach die Ironie von Oli, das es in seinen Augen schon noch ein paar Kilometer bis Salzgitter wären. Nach einer kurzen Korinthenkackerei unter Informatikern wurde die Abendplanung beschlossen: Grillen im Garten – Guter Plan und gut keine Kochutensilien mitgenommen zu haben. Nach dem Gespräch war klar, dass wir bei Oli nicht ohne Begrüßungsgeschenk aufschlagen dürfen. Also gibt es doch noch einen kurzen Stop in Lengede. Ein Pfeffi ist für Oli ist sicherlich das Richtige. Nach der Besorgung schnell noch eine Banane futtern bevor es weitergeht. Danach war ich so im Tritt, dass ich mich nur noch an das MAN-Werk in Salzgitter mit den sehr nahe dranstehenden Windkraftwerken erinnern kann, achja und den ekeligen Staub der kurz danach so ziemlich alles im Gesicht, inkl. Augen, ausgetrocknet hat. Und ja es wird bergiger, also kommt der Eco-Mode schon häufiger zum Einsatz. Die Kilometer gingen einfach so dahin – und dann kam irgendwann schon ein Ortsausgang mit einem kurzen schräg hochgestellten rot-weißen Schlagbaum – Mattierzoll. Kaum daran vorbei sahen wir ein kleines Stückchen Eisernen Vorhang und noch weiter hinten gelegen ein Wachturm. Sind wir jetzt schon an der ehemaligen innerdeutschen Grenze angelangt? Es ist 16:00 Uhr und der letzte Blick auf die Uhr lag also schon über 2,5 Std. zurück – irre. Also Fahrräder geparkt und sich die Gedenkstätte angeschaut.
Vor dem Aufsteigen noch ein kurzer Kilometer-Check. Wenn wir jetzt auf der richtigen Tour wären, hätten wir unser Tagesziel von 100 km erreicht. Ich merke das auch. Mein Hintern möchte so langsam in den Feierabend, meine Waden hingegen scheinen nichts nennenswert Schlimmes erlebt zu haben. Also rauf aus Rad und die letzten 17 km machen. Als wir am Wachturm vorbeifahren, mussten wir erst einmal den Radweg suchen, die Betonplatten waren so hoch bewachsen, dass meine Lasti-Kiste als Wild-Pflug herhalten muss. Die letzten Kilometer hatten es für mich in sich: Betonplattenbuckelpiste in Abwechslung mit dem Lastenrad-Lieblingsstraßenbelag Kopfsteinpflaster. Leise geht anders. Dazu kommt eine stetig wachsende Steigung, die Restkilometer zeigten kurz nach Westerburg noch 5 km. Das sieht nach Punktlandung aus. Und meine Kräfte schwinden auf den letzten 3 km auch, da es noch ordentlich Gegenwind gibt. Ortseingang Badersleben: Schon wieder Kopfsteinpflaster und der Akku zeigt noch 1 km. Josch sagt: „Bis zur Kirche müssen wir noch…“ Ja mit diesem einen Restkilometer stehen wie vor Olis Eingangspforte, welche schon Zentimeter-Arbeit erfordert das Lasti schrammenfrei hindurch zu bekommen.
Endlich da – Nach einer kurzen Hausführung geht es in Olis Garten. Jetzt schon Zelt aufbauen? Erst einmal sitzen… mir einem Bier in der Hand. Später dann mit Olis Kindern warm werden: sich über die Namen der Hühner informieren, mir zeigen lassen wie man sie füttert, es selbst mit dem Füttern ausprobieren, mich von Olis Tochter belehren lassen das man das anders machen muss und Anschwung auf der Schaukel geben… Fühlt sich fast so an wie bei mir zu Hause – vor längerer Zeit.
Was für ein Service: Wir wurden begrillt und nach kurzer Verdauungspause mit noch einem Kaltgetränk ging es an den Zeltaufbau, bevor es dunkel wird. Erkenntnis 1: Zeltaufbau funktioniert, dauert aber da ich das Gestänge einfädeln muss. Erkenntnis 2: Vertüddelte Abspannleinen ziehen den Zeltaufbau weiter in die Länge. Erkenntnis 3: Die ISO-Matte hat sich vor ein paar Jahren noch bequemer angefühlt. Gesamterkenntnis: Josch ist fixer als ich. Naja Zelt mit Schlafplatz steht. Und wir lassen den Abend mit Oli auf seiner Terrasse ausklingen. Fazit 100 km pro Tag kann man treten. Knappe 120 km müssen nicht sein.
Mark Wittig ist beruflich, sowie privat Agilist und Denkanstößler. Mehr zu Ihm auf der „Über Mich“-Seite von dadlog.de