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Geschichten aus dem Motorradsattel

Grünes Band – Tag 16: (krank)-Feiern!?

Geschrieben von: Mark

Als ich gegen 06:30 Uhr durch das Prasseln des Regens auf mein Zelt geweckt werde, drückt das auf die Vorfreude heute endlich an der Ostsee anzukommen. Joschs Zelt ist noch zu und es regnet aus Kübeln – nichts mit draußen im Stuhl sitzen. Also setze ich mich im Zelt an die nächsten Blogeinträge, in Hoffnung, dass der Regen bald aufhört. Tut er aber nicht: ich lerne in der nächsten Stunde alle Regenarten am Klang zu erkennen, wie sie aufs Zelt prasseln.

Mir reichts. Ich ziehe mir die Regenjacke an und setze mich in die überdachte Sitzecke am Sanitärbereich. Dort beobachte ich den Ratzeburger See und den Himmel. Es ist alles grau und es ist kalt, obwohl ich schon nach Zwiebeltechnik angezogen bin – außer die Füße: barfuß in Flipflops, so wie sich das auf dem Campingplatz gehört. Gegen 8:30 Uhr gibt es längere Zeit nur noch feinen Sprühregen: also bei den Verhältnissen ist es quasi kein Regen.

Ich gehe zurück auf den Platz. Josch quält sich aus dem Zelt: Er sieht gar nicht gut aus und hört sich auch nicht gut an. Er liebäugelt schon damit, dass wir für den Heimweg auch wieder einen Transporter mieten können – Ich denke mir „Das kommt gar nicht in die Tüte, notfalls verlängern wir unseren Urlaub“. Das Ziel Travemünde heute so zu erreichen rückt in weite Ferne. 72 km müssten wir heute machen. Josch beschließt sich noch einmal für eine Stunde schlafen zu legen, in Hoffnung, dass es ihm besser geht. Wenn nicht, müssen wir heute eine Zwangspause einlegen. Das befürworte ich. Selbst meinen Kids sage ich immer: „Schlafen ist die beste Medizin“

Ich setze mich in der Zeit wieder in die Sitzecke und schreibe weiter an unseren Tour-Postings und habe auch unser Frühstückzeugs mitgenommen – Frustessen halt. Gegen 10:00 Uhr lässt der Regen endlich etwas nach, aber Josch schläft noch im Zelt. Gegen 12 kriecht er aus dem Zelt. Der Schlaf hat wohl Gutes bewirkt, es reicht, um wieder den Ehrgeiz in seiner Stimme zu hören. Wir beschließen, es heute zu versuchen Travemünde zu erreichen. Der Regen hat inzwischen auch aufgehört, aber alles bleibt grau in grau.

Wir beginnen abzubauen und zu packen – unter erschwerten Bedingungen, da alles durchmässt ist. Bis wir abfahrbereit sind, ist es kurz vor 13:00 Uhr. Erst einmal wieder steil den Berg direkt nach der Zufahrt des Campingplatzes nach oben – und das auf einem für das Lasti sehr schmalen Bürgersteig, um das Kopfsteinpflaster zu meiden. Die ersten 7 km haben für die letzten Tage schon wieder gut Steigung. Vor Utecht geht es dann wieder auf die gleichen Höhenmeter herunter wie heute Morgen am Campingplatz, da der Ort wieder nah am Ratzeburger See liegt. Von Dort aus geht es dann weiter nördlich weiter auf der Landstraße – Ich dachte in dieser Gegend wäre Mecklenburg-Vorpommern platter, aber es gibt ein ständiges Auf und Ab auf der Straße. Irgendwann haben wir den Bogen raus, möglichst effektiv „Anlauf“ in einer Senke zu nehmen. Wir fahren Nonstop weiter durch die Orte Schattin und Duvennest, welche typisch unspektakulär norddeutsch wirken, aber die Bauweise der Höfe ebenso markant sind. Das Wetter hält sich bedeckt und es regnet nicht.

Wir überqueren per Brücke die A20 und fahren durch Herrnburg, welches schon mit dem Speckgürtel von Lübeck verschmilzt. An einem Kreisverkehr werden wir von der Führung der Fahrradwege verwirrt und es fängt wieder an etwas zu regnen. Wir machen trotzdem kurz Pause, da wir knapp 20km geschafft haben.

Im Regen geht es dann weiter Richtung Lübeck. Direkt durch die Stadt müssen wir nicht, wir fahren aber immer an einem, der vielen Industriegebieten entlang. Dies trifft sich ganz gut, da wir unsere Vorräte noch auffüllen müssen und ich neues Gas für den Kocher benötige. Komisch ist es, dass nur eine Straße den Kommerz direkt von Landschafts- und Naturschutzgebiet trennt – Links Fabriken, Hallen und Geschäfte, rechts Wald. Am Landschaftsschutzgebiet Lauerholz machen wir einen Zwischenstopp, da es ein Fachmarktzentrum mit Baumarkt und Supermarkt gibt. Es regnet immer noch und wir sind froh überdacht und warm die Besorgungen machen zu können. Wir gönnen uns am Bratwurststand noch eine Krakauer, in falscher Hoffnung, dass der Regen danach endlich aufhört.

Wir verlassen Lübeck und fahren ein paar Kilometer fein geschotterten Weg an der Bahnstrecke bis nach Schlutup. Im Regen sauen sich die Fahrräder mit dem Schotterschlamm gut zu. Wir entdecken dort noch ein Grenzmuseum und parken schnell die Räder. Die Dame am Empfang winkt jedoch ab, da das Museum schon geschlossen hat. Wir schauen auf die Uhr und bemerken erst jetzt, dass es schon kurz nach Fünf ist.

Wir ärgern uns etwas und fahren direkt weiter durch die Palinger Heide Richtung Lüdersdorf. Dort lassen mich die Wegweiser, die wieder zurück auf Lübeck verweisen, daran denken, dass wir ja eine Schleife fahren, da der richtige ehemalige Grenzverlauf an der Trave nicht mit dem Rad befahrbar ist. Über Wahrsow und Schönberg machen wir also einen kleinen Umweg durch Mecklenburg-Vorpommern. Landschaftlich bleibt es bei dem ewigen Auf und Ab und ob der Regen mal stärker runterkommt oder kurzzeitig auch ganz aufhört ist uns gleich. Bei der Durchfahrt durch Dassow wird uns klar – nicht mehr lang, dann sind wir da. Travemünde ist schon ausgeschildert und wir fahren weiter. Noch etwas mehr als 11 km trennen uns noch vom Campingplatz.

Das eigentliche Ziel für heute ist aber ein Anderes. Es ist 5 km näher dran. Darum treten wir noch einmal in die Pedale und erreichen Pötenitz. Es ist 19:15 Uhr – Vielleicht verfälscht das Nieselwetter meinen Geruchssinn, aber ich meine, es riecht nach Meer. – Es geht eigentlich nur geradeaus, bis sich eine Linkskurve anbahnt, jedoch ein kleiner Wegweiser mit „Strand“ leicht nach rechts zeigt. Josch und ich brauchen keine Worte. Wir biegen ab und sehen die Dünen. Wir fahren weiter und der schmale Schotterweg, bekommt Holzbohlen die sich von Meter zu Meter zunehmend mehr mit Sand bedecken. Als es mir, wegen zu viel Sand zu schwer wird, weiter zu treten, steige ich ab. Ich blicke nach vorne – und da ist es, das Meer.

Ich ständere das Lasti auf die Holzbohlen und genieße den Ausblick und den Wind, obwohl man durch das graue Regenwetter nicht sehr weit auf die Ostsee blicken kann. Wir gehen den Weg hinunter zum Strand. Als nur noch Sand unter meinen Füßen ist, werde ich euphorisch und etwas sentimental.

Wir haben es tatsächlich geschafft: Einmal mit dem Drahtross durch die Republik. Und jetzt stehen wir am Meer, definitiv der Punkt, wo uns unsere Räder nicht mehr weiterkommen. Der Wellengang ist unerwartet stark und selbst der Blick auf das nahe Travemünde ist durch das Wetter stark vernebelt. Wir laufen noch einmal zum Lasti und holen unser „Notfallbier“, um wieder am Strand auf den Erfolg anzustoßen.

Viele Worte sprechen Josch und ich in dem Moment nicht. Wir blicken einfach nur aufs Meer. – Ich muss an die vielen mir lieb gewordenen Personen denken, die gerade nicht bei mir sind, besonders an meine Kinder – Sie lieben die Ostsee mindestens genauso sehr wie ich. Wie ich die Drei vermisse. Wir gehen direkt ans Wasser und merken, dass sich der Dunst verzogen hat und die Sicht wieder viel klarer ist. Eine Welle legt nach ihrem Abzug einen Stein im Sand frei, welchen aufhebe und in „Familien-Meer-Tradition“ einstecke. Er bekommt seinen Platz, wenn ich wieder zu Hause bin.

Es fängt an zu dämmern und wir beschließen aufzubrechen. Wir gehen zurück zu den Rädern und verstauen unser Leergut. Da der Holzsteg zwischen den den Dünen kaum breiter als das Lasti ist, kämpfe ich in mehreren Zügen, um das Gefährt gewendet zu bekommen. Zurück auf dem Radweg ist der Personenfährhafen nach Travemünde schon ausgeschildert. Wir fahren zwischen vielen Ferienwohnungen immer geradeaus. Am Hafen angekommen sind wir etwas verunsichert, warum der Ticketautomat nichts anzeigt. Dies hat eine Frau wohl beobachtet: „Ihr braucht kein Ticket, es ist doch Wochenende. Da fahren Personen kostenfrei“ Das klingt gut und ich bemerke, dass ich gar nicht mehr weiß, welcher Wochentag gerade ist.

Also rauf auf den Anleger und keine 5 Minuten später legt die Fähre auch schon an. Der Betrieb hält sich in Grenzen. Es ist kurz nach 8 und das Wetter lädt gerade nicht zu einem größeren Spaziergang ein. Ich lasse die Fußgänger und auch Josch mit dem Rad vor, da ich schon ahne, dass das parken mit dem Lasti auf der Fähre nicht so einfach wird. Ich brauche ein paar Züge, um das Lasti um die Ecke zu bekommen und schon so zu stellen, dass ich gleich einigermaßen zügig wieder von Bord komme. Kaum aufgeständert legt der Schiffsdiesel auch schon zur Überfahrt los. Inzwischen ist es dunkel geworden und die Fahrt dauert nicht lange. Auf der anderen Seite, in Travemünde angekommen, lasse ich, wie zuvor alle Passagiere zuerst von Bord. Als ich mich in Bewegung setze, geht eine Tür auf, aus der, der Kapitän grinst und fragt, ob ich für das Teil einen besonderen Führerschein brauche. „Sieht komplizierter aus, als es ist“ antworte ich mit einem Augenzwinkern und verabschiede mich.

Jetzt geht es erst einmal immer auf der Promenade entlang. Hier ist schon deutlich mehr los und wir müssen gut aufpassen, keine Fußgänger anzufahren. Als wir von der Promenade herunterfahren, zwingt mich mal wieder eine Baustelle vom Sattel. Danach geht es ein kurzes Stück durch die Altstadt – mit Kopfsteinpflaster. An einem Supermarkt machen wir nochmal kurz halt, da wir ja für den Abend noch neues Feierabendbier benötigen. Zutaten für das Abendessen hatten wir ja schon in Lübeck gekauft. Die restlichen zwei Kilometer bis zum Campingplatz, setzen wir mal wieder in leichtem Regen fort, welcher sich aber verzieht, als wir auf den Platz fahren.

Beim CheckIn loben uns die Betreiber, dass wir unser eigenes CEE-Kabel dabei haben und wir sind erstaunt, dass es gleich im Eingangsbereich eine sehr große überdachte Sitzmöglichkeit gibt. Dies ist unser Backup, falls es gleich doch wieder regnen sollte. Wir fahren auf die Zeltwiese und ich muss bei dem aufgeweichten Weg schon aufpassen, nicht stecken zu bleiben. Auf der Wiese gibt es nur einen Mitcamper, der wohl allein mit seinem Kleinwagen auf Tour ist. Also haben wir freie Platzauswahl. Wir entscheiden uns direkt am Feldrand die Zelte aufzuschlagen, da der Boden weiter zur Mitte des Platzes schon sehr matschig ist.

Nach dem Aufbau der Zelte geht es erst einmal unter die Dusche. Nachdem wir wieder sauber und frisch aus dem Sanitärhaus herausgetreten sind fängt es auch wieder zu regnen an. Wir denken an unser Backup, rennen zu unseren Zelten und tauschen die Kulturtaschen gegen die Kochklappboxen aus der Lastikiste. Unter Dach konnten wir entspannt bei einem Feierabendbier das Abendessen genießen. Alles in allem – Ein sehr emotionaler Tag.

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