uhambe

Geschichten aus dem Motorradsattel

Grünes Band – Tag 13: Wind – Eine Hassliebe

Geschrieben von: Josch

Am Morgen scheint die Sonne bei einem wunderschönen blauen Himmel. Wir lassen uns etwas Zeit, damit die ganze Wäsche noch etwas trocknen kann. Beim Frühstück kommt der Platzwart zu uns und fragt warum wir denn nicht einfach den Wäscheständer benutzt haben statt alles auf der Veranda zu verteilen. Den Ständer haben wir wohl gestern Abend komplett übersehen. Auch wenn es dann heute später wird, wollen wir mal wieder die 100 km knacken, was ja unser Richtwert war für das bisschen Planung, welche wir gemacht haben. Schließlich kommen wir um 11:30 Uhr los.

Gleich am Anfang erwartet uns ein ordentliches Stück auf dem Kolonnenweg. Auch wenn er am nähsten dran an der eigentlichen Grenze ist, sind wir eigentlich doch immer ganz froh, wenn wir nicht auf diesem Weg fahren müssen. Wir werden so durchgeschüttelt, das mir sogar Krams aus dem Netz an den Seitentaschen fällt. Ich habe Mark mittlerweile so gut kennengelernt, dass ich ihm ansehe, dass er sich das Meckern nur verkneift, obwohl er gerne würde. Wir kommen an einem runtergekommenen Grenzturm vorbei. So wirklich nach anhalten und anschauen, sieht der aber nicht aus. Nach einem „Guck mal, noch ein Turm!“, gefolgt von einem anerkennenden Nicken, fahren wir ohne Stopp weiter.

Danach kommen eine Weile nur leere Landstraßen. Der Rückenwind aus Westen pustet uns auf eine angenehme Reisegeschwindigkeit zwischen 25 und 30 km/h. Auf der Karte entdecke ich den POI „Blick auf die Dumme“. Die Dumme ist ein Fluss und der POI ist eine Brücke, wo man über den Fluss schauen kann. Nach fast 2 Wochen unterwegs reicht es trotzdem für einen Lacher. Wir machen mächtig Strecke gut, dem Wind sei Dank. Die Route führt uns wieder auf Feldwege durchs Nichts. Nach etwas über eine Stunde Fahrt halten wir einfach in einer Kurve, sonst gibt es nichts. 25 Kilometer haben wir geschafft, schon ein Viertel vom ganzen Tag.

Noch eine Stunde weiter mit Rückenwind durch die Ödnis, dann kommen wir bei KM 45 am Arendsee an. Der Uferweg ist eher nicht für Lastenräder (wahrscheinlich nicht mal für Fahrräder) gedacht, aber wir kommen gerade so überall durch. Wir halten einmal kurz, um uns das Wasser anzuschauen. „Der sieht so flach aus wie das Steinhuder Meer“, meint Mark. Tja, nicht so ganz! Nach Wikipedia stehen wir an einem der tiefsten Seen in Norddeutschland. Bis zu 50 m tief soll der Arendsee sein. Wir fahren ein paar Meter weiter zum örtlichen Fischer auf ein Fischbrötchen.

Unser nächstes Ziel soll Schnackenburg an der Elbe sein. Dort gibt es auch ein Grenzmuseum, hoffentlich gibt es dort mit der Wassergrenze wieder mehr Neues zu erleben. Der Rückenwind hilft uns auf dem Weg nicht mehr, er kommt nun von der Seite. Es geht eine Weile über die Buckelpisten von Mecklenburg-Vorpommern. Entweder über den Radweg immer 5m hoch und runter oder mit ganz schlechtem Asphalt auf der Straße. Wir haben beide die Schnauze voll, das Fahren macht so keinen Spaß mehr. Im Elbdeichvorland kommen wir an einem kleinem Freilichtmuseum vorbei. Noch ein Dorf, das abgerissen wurde.

Wir haben es hier im Blog bisher nicht so thematisiert, aber das geballte Erlebnis der Grenze geht hier und da schon sehr aufs Gemüt. Hin und wieder brauchte ich in den Museen eine Pause an der frischen Luft, um zu verarbeiten, was die Grenze für die Menschen wirklich bedeutet hat. Zwar bin ich mit Schöningen als Heimat schon früh damit in Kontakt gekommen, doch so richtig vorstellen konnte ich mir als 96er Jahrgang nicht, was die Grenze bedeutete, so wie ich es jetzt gerade geballt erlebe.
Auch dieses Dorf ist so ein Moment. Bei dem ersten abgerissenen Dorf unten in Bayern war es noch ein „krass, dass die auch so was gemacht haben“. Jetzt ist eher ein „Verdammt, noch eins!“. In der Schule geht dieser Teil der deutschen Geschichte bei dem ganzen Nationalsozialismus komplett unter. Wir nehmen uns trotzdem die nötige Zeit an jedem Punkt, wo wir mit der Geschichte in Berührung kommen, auch wenn es dann später wird. Obwohl es manchmal zu viel ist, ist dies mit ein Grund warum wir uns für die Tour entschieden haben. Ein Grund, warum uns diese Reise, neben dem ganzen anderen Abenteuern unterwegs, noch lange in meinem Kopf bleiben wird.

Bis nach Schnackenburg ist es jetzt nur noch ein kleines Stück. Das Grenzmuseum ist in einem kleinen Häuschen direkt an der Elbe. Die Austellung ist dafür auf 3 Etagen und jeder Platz wurde genutzt. Bis auf den Fall „Kugelbake“, bei dem ein Vermessungsschiff zwischen die Fronten geriet, gibt es jedoch nicht so viel zur Flussgrenze wie wir dachten. Immerhin haben wir hier die Möglichkeit den Akku vom Lasti zu laden. Es wäre zwar nach Plan eigentlich nicht nötig, doch wenn wir eines bis hierhin gelernt haben, dann dass jedes Prozent Akku im Lastenrad pures Gold Wert ist.

Mit noch mehr Grenzwissen und ein paar Prozenten mehr im Akku geht es für uns wieder auf Tour. Ein paar Meter um die Ecke fahren wir mit der Fähre über die Elbe. Den Erwartungen nach ein Highlight – nach so vielen Kilometern etwas Neues. Doch letztendlich gar nicht so spannend. Rauf auf die Fähre. Zwei Autos gesellen sich dazu, dann fahren wir übers Wasser.

Ab jetzt sind wir auf dem Elbe-Radweg unterwegs. Richtung Nord-Westen – Genau die Richtung, aus der der Wind kommt und der pustet nicht wenig. Um etwas Schutz zu haben fahren wir (wenn möglich) hinterm Deich. Für mich mit dem Gravelbike vorneweg ein reiner Kraftakt. Wir machen das erste Mal auf der Tour echtes Windschatten fahren, bisher bin ich immer nur vorgefahren. Da meine Fähigkeiten als Navigator auf dem großen Radweg nicht gefordert sind, schicke ich Mark vor. Die Idee ist: den E-Motor seinen Spaß mit dem Wind lassen zu haben und ich fahre im Windschatten vom dicken Lastenrad. Selbst dort habe ich noch Probleme überhaupt hinterher zukommen.

Auf dem Weg kommen wir an einem weiteren Grenzturm vorbei. Tatsächlich der erste, den wir besteigen können. Oben halten wir es bei dem Wind nicht lange aus und fahren nach einem Snack schnell weiter.

Unsere Laune geht stetig bergab. Ich versuche Mark immer Mal wieder eine Pause vom Wind zu gönnen und vorzufahren, doch komme nicht all zu schnell voran. Während unsere Kräfte und der Akku schwinden, fängt es an zu regnen, was bei Gegenwind besonders herrlich ist. Von dem so beliebten Elbe-Radweg sind wir auch nicht überzeugt. Nur geradeaus, immer die selbe Landschaft – falls man hinterm Deich überhaupt etwas sieht.

Der Akku verliert letztendlich den Kampf gegen den Wind. Ab jetzt fahre ich wieder vor. Die letzen Kilometer vor Dömitz werden wieder zu einem Kraftakt. Nicht nur für mich, auch Mark hat mit der großen Oberfläche vom Lasti plus dem Gewicht zu kämpfen. Ich sehe, das Mark am Ende ist. Mehr Helfen kann ich ihm aber auch nicht. Spaß haben wir beide schon lange nicht mehr, einen früheren Campingplatz sehen wir auch nicht, also müssen wir durchziehen, doch das kennt man mittlerweile schon. Einfach strampeln bis wir endlich das Zelt aufbauen können.

In strömendem Regen kommen wir am Campingplatz vom Dömitzer Hafen an. Wir sind beide komplett am Ende und wollen eigentlich gar nichts mehr tun. Am Platz ist niemand zu finden. Per Telefon sagt mir der Hafenwart, dass er gerade beim Abendessen sei und danach vorbei kommen würde. Immerhin ein Platz mit einem überdachten Unterstand, wo wir später noch halbwegs gemütlich Sitzen und Kochen können. Wir nutzen die kurze Pause um zu Fuß im Supermarkt ein paar hundert Meter vorher noch ein paar Leckereien zu besorgen. Einfach um mit ein bisschen Süßkram die Laune wieder etwas anzuheben.

Als wir wieder da sind, sehen wir, dass noch zwei Radler angekommen sind. Wir bauen unsere Zelte auf und dann ist auch schon der Hafenwart da. Strom bekommen wir kostenlos am Sanitärgebäude. Gekocht wird heute nur unsere Notration Instant-Nudeln, für mehr haben wir keine Lust mehr. Dafür gibt es noch etwas Anti-Pasti als Vorspeise und Chips beim Schnack mit den anderen Radfahrern.

Bei ein paar Bier unterhalten wir uns mit den Leidensgenossen. So sehr gelitten haben sie jedoch gar nicht. Als sie den Wetterbericht gelesen haben, sind sie zum Ende ihrer Tour in den Westen per Zug gefahren und sind seit dem mit Rückenwind unterwegs. Wir planen grob unsere Route für morgen. Anscheinend gibt es hier einen deutlichen Unterschied zwischen der Route aus dem Radwiki und der Eurovelo 13 (Iron Curtain Trail), die an dem Westufer entlang geht. Die beiden Radler warnen uns jedoch vor der anderen Seite der Elbe, dort soll es richtig bergig sein. Also bleiben wir einfach auf dieser Seite.

Der Wind hat uns heute Vormittag gut angepustet und hat uns am Nachmittag den letzten Nerv gekostet. Wir haben es uns im platten Land deutlich einfacher vorgestellt. Am Ende hatten wir nicht Mal Lust auf Fotos machen. Wir sprechen nichtmal darüber, dass wir heute mal wieder die 100km geknackt haben. Durchgekühlt und mit schlechter Laune gehen wir in unserer Zelte. Hoffentlich wachen wir morgen wieder mit mehr Motivation auf.

Weiter Beitrag

Zurück Beitrag

1 Kommentar

  1. Oli 8. Juli 2024

    „Es geht eine Weile über die Buckelpisten von Mecklenburg-Vorpommern. Entweder über den Radweg immer 5m hoch und runter oder mit ganz schlechtem Asphalt auf der Straße. Wir haben beide die Schnauze voll, das Fahren macht so keinen Spaß mehr.“

    Das ist ein Klassiker bei länderübergreifender Radweg- und Straßenplanung. Das hast du leider sehr oft. Die Koordination für Radwegen über Ländergrenzen ist sehr langatmig und Straßen sind auch sehr oft ab Grenze mal eben das komplette Gegenteil zur anderen Seite. Da ich viel in dem Bereich Sachsen-Anhalt und Niedersachen fahre, kenne ich das sehr gut und du siehst das fast bei jeder Landstraße die nicht Bundesstraße ist. Das ist aber denke ich überall so und nicht nur bei der damaligen Ost-West Grenze so. Die gleiche Erfahrung hatte ich zwischen Sachsen-Anhalt und Brandenburg auch.

Antworten

© 2024 uhambe

Thema von Anders Norén